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GP: Geschichte der Physik

GP V: HV V

GP V.1: Invited Talk

Thursday, March 18, 1999, 13:40–14:20, MA 2

Die Physik im Kontext der Disziplinen - Organisationsformen und konzeptuelle Prioritäten nach 1945 — •Maria Osietzki

Aus der Perspektive der 1990er Jahre, die unter dem Eindruck der Wars“einerseits und andererseits unter dem Diktat der Interdisziplinarität stehen, erhält die Reorganisation der Wissenschaftslandschaft nach 1945 ein neues Gesicht. Denn es tauchen Fragen auf, die Verbindungen oder Trennungen zwischen den Disziplinen vor allem im Kontext der Kulturenbetreffen, die Charles P. Snow 1959 beklagte. Mit Bezug darauf gilt es zu problematisieren, ob in Deutschland nach dem Zweiten Weltkrieg die Trennung der Kulturen“aufgrund organisatorischer Maßnahmen und konzeptueller Traditionen tatsächlich forciert wurde, oder ob nicht vielmehr zu jener Zeit bereits Entwicklungen einsetzten, die är“waren und auf diesem Wege zu einem grundlegenden Wandel in der Wissenskultur führten, die heute im Rahmen der Wars“debattiert werden. Welche Funktion die Physik als Disziplin in diesem ganzen Kontext speziell in der Zeit nach 1945 einnahm, soll im Zentrum des Vortrags stehen. Wie darin an ausgewählten Beispielen ausgeführt werden soll, entwickelte sich der Wiederaufbau der Forschung nach 1945 in Deutschland tatsächlich organisatorisch weitgehend entlang der traditionellen Spaltung der Disziplinen. Dies traf auf die Universitäten und Akademien ebenso wie auf die Max-Planck-Gesellschaft und die Deutsche Forschungsgemeinschaft zu, wo die Physik in das organisatorische Schema der disziplinären Dichotomie weitgehend eingebunden wurde. Ihr herausragender Status im Rahmen der Kernphysik und ihr zum großen Teil darauf beruhender Hegemonieanspruch aber führte dazu, daß sie diesen zur Begründung organisatorischer Innovationen nutzte: insbesondere die Kernforschungszentren trugen zur Förderung der Interdisziplinarität zumindest zwischen den Natur- und Ingenieurwissenschaften erheblich bei. Die Interdisziplinarität nun allerdings trug auch der von Werner Heisenberg initiierte, letztlich aber gescheiterte Deutsche Forschungsrat in seinem Programm. An diesem konkreten Beispiel soll im Detail ausgeführt werden, wie die Konfliktlinien zwischen den Disziplinen verliefen, die letztlich zu ihrer organisatorischen Trennung und zur weitgehenden Unterbindung der interdisziplinären Zusammenarbeit nach 1945 führten. Die Verhandlungen über den Deutschen Forschungsrat waren wie ein Brennglas, in dem sich die zur Bearbeitung dieser Fragestellungen nötigen Positionen besonders gut ablesen lassen. Denn er erhob den Anspruch, das zentrale Organ der deutschen Forschungsorganisation zu sein. Deshalb rief er Reaktionen hervor, aus denen sich die letztlich durchgesetzten Haltungen zum Thema Interdisziplinarität und zur organisatorischen Trennung der Disziplinen ableiten lassen. Während der Quantenmechaniker Erwin Schrödinger sein einflußreiches Buch is life?“veröffentlichte, Norbert Wiener das Grundlagenwerk zur Kybernetik vorlegte und Claude Shannon die Informationstheorie ausformulierte - entscheidende konzeptuelle Innovationen, die in Richtung Interdisziplinarität wiesen -, wurden in Deutschland die Grundlagen für die Trennung der Disziplinen zementiert, an denen die deutsche Wissenschaftslandschaft bis heute krankt.

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